Text zum Werk
Neun aufrecht stehende, schlanke Gewandfiguren aus Eichenholz bilden den Fries der Lauschenden. Bewusst wählte Barlach eine gotisierende Form seiner Figuren, die an die Skulpturen mittelalterlicher Dome erinnert. Die Streckung der Körper deutet auf ihre wachsende Verbindung zu geistigen Sphären. Ein solcher Rückgriff auf die deutsche Gotik galt zu Barlachs Zeit als ursprünglich und modern zugleich.
In ihrer Reihung fügen sich die Gestalten zu einem harmonischen Ganzen, »darin«, so Barlach »eins dem anderen wohl will und jedes zur Steigerung des Zusammengehörens beiträgt.«
So steht jede Figur für sich und ist individuell gestaltet. Von jung bis alt, mal leichtfüßig beschwingt, mal ernst, tief ergriffen oder beseelt - jede Gestalt bringt einen Aspekt des Lauschens oder des In-sich-Hineinhörens zum Ausdruck. Sie alle verkörpern ein Sich-Öffnen gegenüber einer spirituellen Welt.
Im Zentrum steht Der Wanderer, ein hagerer Mann mit Hut und Stock. Auch für Barlach war diese Figur ein Sinnbild der entschleunigten Selbst- und Welterkenntnis. In Güstrow unternahm er täglich, bei Wind und Wetter ausgedehnte Spaziergänge. Der Kopf sei ein Selbstbildnis, schrieb er 1931. Er hat sich mehrfach als Wanderer dargestellt.
Links vom ihm steht Der Blinde, gestützt auf zwei Krücken. Mit seiner kerzengraden Haltung und den strengen Gesichtszügen strahlt der alte Mann Würde aus. Verfügt er über besondere seherische Fähigkeiten?
Daneben - Die Tänzerin. Sie folgt der Musik im Tanz, hat sich mit gekreuzten Beinen in den Zehenstand erhoben und legt den leicht geneigten Kopf verzückt in ihre Hände.
Der Gläubige neben ihr wendet den Kopf gen Himmel und scheint in einer Mischung aus Freude, Ehrfurcht und Staunen mit offenem Mund himmlischen Klängen zu lauschen. Die Hände hat er erhoben, was an die frühchristliche Gebetshaltung, die Orantenhaltung erinnert. Allerdings wird er beengt durch das geschlossene Gewand. Damit nimmt Barlach das Motiv einer Entwurfszeichnung für ein Ehrenmal in Stralsund wieder auf. Jene Kohlezeichnung zeigt eine ganz ähnliche Figur, die aber in Ketten gefangen ist. Für Barlach blieb auch der gläubige Mensch ein gefangenes Erdenwesen.
Den Abschluss links bildet Die Träumende. Sie wendet sich ab von der Welt. Ein Tuch umhüllt sie und schirmt sie von der Außenwelt ab. Entspannt, die Augen geschlossen, ist sie im Zustand des Friedens und der inneren Einkehr.
Rechts vom Wanderer steht Die Pilgerin, zu erkennen an ihrem Hut und dem offenen Mantel. In ihrem sanften, frohgemuten Lächeln liegen Gottvertrauen und Freude über das, was sie sieht und hört. In einem Brief an seinen Bruder Karl schrieb Ernst Barlach:
»Der ernsteste Mensch wird wohl zuweilen fühlen, dass alles Spiel ist, nämlich in dem erhabenen Sinne des Aufgehens aller Dinge in der allgemeinen Harmonie: Freude, die der Grund, Freude, die der Zweck alles Seins ist.«*
Daneben - Der Empfindsame. Nachdenklich, ja skeptisch der Welt gegenüber hat der junge Mann die Arme schützend vor dem Leib verschränkt.
Der Begnadete hebt, von Gefühlsregungen erfüllt, einen Arm zum Kopf. Seine rechte Hand liegt über einem Auge, der Blick ist nach innen gerichtet.
Ganz rechts Die Erwartende. Der leicht gewölbte Leib deutet eine Schwangerschaft an. Leicht zur Gruppe gewandt, markiert sie den Abschluss der Reihe.
*Zit. nach Jeannette Gosteli, in: Geistlicher Impuls für die Verantwortungsgemeinschaft Ostritz‐Zittau‐Löbau (33. Kalenderwoche)
Werkdaten
Titel | Fries der Lauschenden |
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Datierung | 1930–1935 |
Reihe, Serie | Fries der Lauschenden |
Material, Technik | Holz (Eiche) mit getöntem Überzug |
MAßE | |
Signatur | |
Bezeichnung | |
Sammlungsbereich | Skulptur und Plastik |
Inventar-Nr. | |
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Werkverzeichnis | Laur II 0441, 0471, 0472, 0570, 0573, 0576, 0577, 0578, 0582, 0585 |
Bemerkung | – |
Auflage | – |
Erwerbung | Als Stiftung von Hermann F. Reemtsma, Hamburg, 1962 |
Provenienz |
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Creditline | © Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss |