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Der Berserker

1910

Text zum Werk

Ein Mann mit gezücktem Schwert, geballter Faust und weit zurückgeneigtem  Oberkörper holt zum Schlag aus. Oberkörper, Beine, Kopf und Schwert bilden eine große Diagonale. Ein spannungsvolles Verhältnis von Statik und Dynamik charakterisiert die Holzskulptur von 1910.

Folgt man dem Blick des Kämpfers, scheint sich die Gefahr schräg über ihm zu befinden. Setzt er sich gegen einen leibhaftigen Feind zur Wehr oder ringt er mit einem unsichtbaren Gegenüber? Die Auseinandersetzung des Menschen mit einer höheren Macht durchzieht nicht nur das bildnerische Schaffen Barlachs, es ist auch Thema seiner Dramen.

Wer bei diesem Schwertkämpfer an japanische Samurai-Darstellungen denkt, liegt nicht falsch. Als Der Berserker entstand, begann Barlachs intensive Beschäftigung mit fernöstlicher Literatur und Philosophie. Der Begriff »Berserker« aber geht zurück auf die nordische Sagenwelt. Dort ist er ein wilder Krieger im Dienst des Gottes Odin. Doch Barlachs Figur ist kein blindwütiger Kämpfer im Rauschzustand und keine Verherrlichung von Heldentum. Umrundet man die Figur, erscheint sie eher geduckt. Der doppelte Geist der Skulptur wurde bereits von Barlachs Zeitgenossen wahrgenommen. So erinnert sich der Schriftsteller Hans Carossa:

»Frage ich mich aber heute, was mir an dem Kunstwerk nahe kam, so war es gewiss nicht jene Zorngebärde an sich, sondern eher ihr Widerspruch zu dem Antlitz des Tobenden, das von Natur aus sanft, ja furchtsam war, ein Eindruck, den das weite mönchische Gewand verstärkte. Und so war es eigentlich ein Unsichtbares, das einen ergriff.«

Soweit Carossa.

Die Figur des Berserkers ist Inhaltlich mit zwei weiteren Holzskulpturen in unserer Sammlung verbunden: dem Schwertzieher von 1911 und dem Rächer von 1922. Auch in ihnen formulierte Barlach die Ambivalenz zwischen Wehrbereitschaft und Sorge.

In den 1920er Jahren galt Barlachs Berserker als Sinnbild eines vitalen geistigen Aufbruchs. Die Ausdruckskraft des Kunstwerks faszinierte damals auch Joseph Goebbels, den späteren Propagandaminister Hitlers, 1924 notierte er: »Am meisten packt mich eine Plastik. Barlach: Berserker. Das ist der Sinn des Expressionismus. Die Knappheit zur grandiosen Darstellung gesteigert.« Doch Barlachs abstrahierende Formensprache und seine nachdenklichen Figuren waren nach 1933 nicht in die Kulturpolitik der Nationalsozialisten zu integrieren, seine Kunst galt nun als »entartet«. Und so erregte sich der einst glühende Barlach-Verehrer Goebbels 1936 über Barlachs Zeichnungen: »Das ist keine Kunst mehr. Das ist Destruktion, ungekonnte Mache. Scheußlich! Dieses Gift darf nicht ins Volk hinein.«

Nach 1945 war Barlach schnell rehabilitiert. Sein Werk gilt nicht nur als bedeutender Beitrag zum deutschen Expressionismus, es berührt die Menschen auch heute.

Werkdaten

Titel Der Berserker
Datierung 1910
Reihe, Serie
Material, Technik Holz (Nussbaum) mit getöntem Überzug
MAßE 66,7 x 88,5 x 30,1 cm
Signatur Rückseite unten mittig: E Barlach
Bezeichnung Nicht bezeichnet
Sammlungsbereich Skulptur und Plastik
Inventar-Nr. P 1977/007
Werkverzeichnis Laur II 0154
Bemerkung
Auflage
Erwerbung Von der Galerie Wolfgang Ketterer, München, am 21.6.1977
Provenienz
  • 1911 Paul Cassirer, Berlin
  • 1911 Max Dietzel, Nürnberg/München
  • 1913 Dr. Heinrich Stinnes, Köln
  • 1932 Hans Heinz Stinnes, Köln
  • 1977 Galerie Wolfgang Ketterer, München
Creditline © Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg; Foto: Andreas Weiss