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DAS GEWICHT DER ZEIT

Werner Scholz. Menschenbilder 1927–37
11. Februar – 9. Juni 2024

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»Der heute vergessene Werner Scholz war seinerzeit so gut wie Dix und Grosz, wie das Barlach Haus bündig zeigt – eine sehr sehenswerte Ausstellung.«

Wolfgang Krischke, FAZ vom 27. Februar 2024

»SCHOLZ IST WESENTLICH,

weil er Inhalte unserer Zeit, die uns alle angehen, hinstellt, und weil er formal wirklich etwas riskiert.« Die Qualitäten, die der Kunstkritiker Kurt Kusenberg 1932 dem Berliner Maler Werner Scholz (1898–1982) bescheinigte, beeindrucken noch heute. Ausdrucksstark und empathisch widmete sich Scholz Kleinbürger- oder Halbweltexistenzen und schaute auf die eher dunklen Seiten der Zwischenkriegsjahre: Mittellose und Trauernde, Flüchtende und Zurückbleibende sind seine Protagonisten – würdevolle Gestalten von eindringlicher Präsenz.

Dank seiner prägnant stilisierenden Kompositionen galt Scholz um 1930 als verheißungsvoller Newcomer; fortschrittliche Galerien zeigten seine Werke, namhafte Museen erwarben sie. 1937 durch die Nationalsozialisten als »entartet« verfemt, zog sich der Künstler 1939 nach Tirol zurück – eine Region, die er seit Kindertagen regelmäßig besuchte. 1944 zerstörte eine Bombe sein Berliner Atelier, und die darin versteckten Bilder wurden vernichtet.

So blieb das vor 1937 geschaffene Frühwerk von Werner Scholz zu weiten Teilen unbekannt – und als Hauptwerk unerkannt. Während Scholz’ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstandenes Œuvre gut dokumentiert und publiziert wurde, ist seine Produktion der Jahre 1927–37 kaum greifbar. Neben den in öffentlichen und privaten Sammlungen erhaltenen Gemälden und Pastellen sind es im Nachlass des Künstlers überlieferte historische Werk- und Ausstellungsfotografien, die zumindest einen Eindruck davon vermitteln, warum Scholz um 1930 als »wesentlich« gelten konnte – und auch heute gelten sollte.

Die Ausstellung Das Gewicht der Zeit möchte Scholz’ Berliner Jahren durch die Präsentation von rund 40 Gemälden und Pastellen, ergänzt um historische Werk- und Ausstellungfotografien aus dem Nachlass des Künstlers, erstmals klarere Konturen verleihen. So werden Facetten einer bemerkenswerten Malkunst sichtbar: Auf ungewöhnliche Weise verbindet sie großstädtische Berliner mit dörflichen Tiroler Lebenswelten, und eigenwillig changiert sie dabei zwischen gemäßigtem Expressionismus und neusachlichem Realismus. 

 

Um 1930 ist Werner Scholz ein von der Kunstkritik mit viel Lob bedachter Newcomer, der sich als politisch engagierter linker Künstler bereits einen Namen gemacht hat: Schon 1929 beteiligt er sich an der ersten Ausstellung der kommunistischen »Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands«, 1930 zeigt er Bilder in der Internationalen Ausstellung sozialistischer Kunst heute in Amsterdam, 1931 stellt er dann in Berlin mit der revolutionär entflammten »Novembergruppe« aus und unterstützt die Ausstellung Frauen in Not mit mehreren Leihgaben.

»Es ist höchste Zeit, sich der wütenden Kulturzerstörerei der Nazis entgegen-zustemmen, ihr mit tatkräftiger Arbeit zu antworten. Papierne Pamphlete und Proteste werden heute, wie uns die täglichen Ereignisse beweisen, gegenstandslos. Die Frevel, die sich Faschisten bereits auf legale Weise leisten können, müssen in ihrer Verantwortungslosigkeit vor der gesamten Öffentlichkeit demonstrativ aufgezeigt werden. Und zwar dauernd und systematisch, durch Schaffung einer Kampfgemeinschaft, die alle Kulturmittel einschließt, die ihren Kampf bis auf die Straße trägt, die alle Propagandamittel nützt, um große Bevölkerungsschichten zu erfassen, die immer wieder in die Gehirne hämmert, was sein wird, wenn diese gefährliche Reaktion an die Macht kommt.«

Werner Scholz im Januar 1931

Scholz’ Themen um 1930 sind Entfremdung und Elend in der Großstadt, ungleiche Machtverhältnisse und Szenen der Gewalt, Kleinbürgernot und Halbwelttristesse. In seinen Bildern offenbart sich eine sozialkritische Tendenz, die letztlich politisch gewollte Gesellschaftsstrukturen für die Verelendung und Versehrung des Einzelnen verantwortlich macht. Am eigenen Leib hatte Scholz die konkrete Zerstörungskraft politischer Weichenstellungen erfahren müssen, als er 1917 als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg seinen linken Unterarm verlor. Deshalb wohl sind Scholz’ Bilder von Invaliden, Notleidenden, Hungernden und Bettelnden, von Verwitweten und Verwaisten keine individualisierenden Porträts, sondern abstrahierende, in der Typisierung immer wieder auch überzeichnende Darstellungen. Mit ihnen nähert sich Scholz der Malerei der Neuen Sachlichkeit an.

Zugleich sind seine Werke hoch expressiv – eine Intensivierung, die Scholz durch Reduktion erreicht: Die Statuarik bildfüllender Körper, die er wuchtig-monumental konturiert und zugleich mit subtil abschattierter Farbigkeit zu plastischer Präsenz erweckt, verleiht Mienen und Gebärden eine ins Existenzielle weisende Ausdruckskraft, wie man sie von den blockhaften Skulpturen Ernst Barlachs (1870–1938) kennt. Werke des Bildhauers aus der Sammlung unseres Museums treten in der Ausstellung in einen Dialog mit Scholz’ Bildern.

Ergänzend zur Ausstellung »Das Gewicht der Zeit« mit frühen Gemälden und Pastellen zeigt die Freie Akademie der Künste Hamburg vom 12. Februar bis 17. März 2024 spätere Arbeiten von Werner Scholz unter dem Titel »Vor Ort – Industrie / Landschaft«. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.

Werner Scholz mit seiner Frau Ursula in Tirol, um 1940, Foto: Archiv Werner Scholz, Hamburg
Werner Scholz mit seiner Frau Ursula in Tirol, um 1940, Foto: Archiv Werner Scholz, Hamburg

KATALOG

Herausgegeben und mit einem Text von Karsten Müller
72 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, gebunden, Eigenverlag des Ernst Barlach Hauses, Hamburg 2024, ISBN 978-3-9816776-6-9
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