Individuelle Mythologie
Rastloser Nomade, unbekümmerter Grenzgänger, charismatischer Selbstdarsteller – Michael Buthe (Sonthofen 1944–1994 Bonn) zählt zu den schillernden Künstlerpersönlichkeiten des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Seine Œuvre ist anarchisch und vielgestaltig: Es schöpft aus den Kulturen der Welt, jongliert mit Kitsch und Klischees, feiert Poesie und Spiritualität in einer technisierten Gegenwart.
Seit 1970 pendelte Michael Buthe zwischen dem Rheinland und Marokko, bereiste den Maghreb und den Nahen Osten, Südeuropa und Schwarzafrika. Die Fremde faszinierte ihn, die archaische Kraft religiöser Rituale und magischer Praktiken, die lärmende Alltags- und Festkultur, die Opulenz orientalischer Farben und Ornamente. Die Begegnung mit außereuropäischen Kulturen förderte eine doppelte Grenzüberschreitung. Die Unterscheidung zwischen Orient und Okzident wurde für Buthe ebenso bedeutungslos wie die Trennung von Kunst und Leben.
Bereits auf der documenta 5 (1972) fand Buthes Kunst der »individuellen Mythologie« weite Beachtung, und bis heute fasziniert sein eigenwilliges, vitales Werk. Nun würdigt das Ernst Barlach Haus Hamburg den vierfachen documenta-Teilnehmer mit einer umfassenden Werkschau. Es ist eine der wenigen Einzelausstellungen seit Buthes Tod und die erste museale Präsentation seines Schaffens in Hamburg, wo Buthe bereits 1982 sein Environment Winterreise durch Westfalen in Halle 6 der Kampnagelfabrik präsentiert hatte. Im Zentrum der Ausstellung stehen rund achtzig Zeichnungen, Collagen und Objekte der 1960er und 70er Jahre, Werke, die nachvollziehbar werden lassen, wie sich Buthes Bildwelten motivisch verästeln und räumlich entfalten.
»Die Wetterwarte meldete 20 Grad minus, doch wir versuchten einfach die Kälte für Wärme zu nehmen, und in dem Augenblick des absoluten Glaubens waren wir umringt von Rosen, Veilchen, den schönsten Nelken und Orchideen.«
Michael Buthe, Die wundersame Reise des Saladin Ben Ismael
Die Ausstellung Der Engel und sein Schatten ist anschließend im Arp Museum Bahnhof Rolandseck zu sehen. Der reich illustrierte Katalog erscheint im Kerber Verlag (136 Seiten mit 111 farbigen Abbildungen, Deutsch/Englisch, gebunden, Museumsausgabe 27 Euro).