»Ich möchte mal ein solches Bild malen, das jeden, der es ansieht, auf Augenblicke frei und glücklich macht.«
Mary Warburg, 1894
»Man möchte der Künstlerin zurufen: Ziel erreicht!«
Brita Sachs in der FAZ, 18.2.2022
Die Hamburgerin Mary Warburg, geb. Hertz (1866–1934), gehört bis heute zu den weitgehend unbekannten Künstlerinnen der Moderne. Bereits zu Lebzeiten stand sie im Schatten ihres Ehemanns, des Kunsthistorikers Aby Warburg (1866–1929), der durch seine Kulturwissenschaftliche Bibliothek und den epochalen Bilderatlas Mnemosyne Berühmtheit erlangte.
Nun würdigt das Ernst Barlach Haus Mary Warburg mit einer Werkschau, die rund 50 Arbeiten aus fast ebenso vielen Jahren versammelt – Jahre, in denen sich Warburgs künstlerische Ambitionen immer wieder gegen gesellschaftliche Konventionen und familiäre Verpflichtungen behaupten mussten. Zu sehen sind Zeichnungen, Pastelle und plastische Arbeiten, deren Auswahl Warburgs Hauptinteressen folgt. In ihren stimmungsvollen Reisebildern, impressionistisch gefärbten Hamburg-Ansichten und Porträts von Familienmitgliedern und Freunden zeigt sie sich als feinfühlige Beobachterin mit wachem Auge und geschulter Hand.
Grundlage für die Schau ist eine 2020 von Bärbel Hedinger und Michael Diers mit Andrea Völker herausgegebene Monografie, die Warburgs Schaffen in Aufsätzen und einem kommentierten Werkverzeichnis vorstellt (536 Seiten mit 900 farbigen Abbildungen, gebunden, 68 Euro).
Wir nehmen die Sonderausstellung zum Anlass, in unserer begleitenden Sammlungspräsentation eine besondere Brücke von Ernst Barlach zur Familie Warburg zu schlagen. Mit Mary Warburg war Barlach vermutlich nicht bekannt – auch wenn er seit 1888 an der Allgemeinen Gewerbeschule in Hamburg die Bildhauerklasse von Theodor Richard Thiele besuchte, dessen Rat Mary 1890 für ihre erste plastische Arbeit einholte. Allerdings schuf Barlach 1920 ein Grabmal für einen anderen Zweig der Warburg-Familie. Diesen Gedenkstein und seine Entstehungsgeschichte stellen wir Ihnen in einer Kabinettausstellung vor: Zum »Grabmal Warburg« (1920) von Ernst Barlach
Publikation
MARY WARBURG. PORTRÄT EINER KÜNSTLERIN
Herausgegeben von Bärbel Hedinger und Michael Diers mit Andrea Völker, mit einem kommentierten Werkverzeichnis und Beiträgen von Jutta Braden, Michael Diers, Steffen Haug, Bärbel Hedinger, John Prag, Andrea Völker und Martin Warnke. 536 Seiten mit 900 Farbabbildungen, Hardcover mit Fadenheftung, Hirmer Verlag, München 2020, 68 €
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Zum »Grabmal Warburg« (1920) von Ernst Barlach
Wir nehmen die Sonderausstellung zu Mary Warburg zum Anlass, eine besondere Brücke von Ernst Barlach zur Familie Warburg zu schlagen. Mit Mary Warburg war Barlach vermutlich nicht bekannt – auch wenn er seit 1888 an der Allgemeinen Gewerbeschule in Hamburg die Bildhauerklasse von Theodor Richard Thiele besuchte, dessen Rat Mary 1890 für ihre erste plastische Arbeit einholte. Allerdings schuf Barlach 1920 ein Grabmal für einen anderen Zweig der Warburg-Familie. Diesen Gedenkstein und seine Entstehungsgeschichte stellen wir hier vor.
Als ihr Ehemann Albert Warburg 1919 starb, beauftragte Gertrude (Gerta) Margarethe Warburg, geb. Rindskopff, Ernst Barlach mit der Gestaltung eines Grabmals auf dem Ohlsdorfer Friedhof.
Die 1856 in Amsterdam geborene Niederländerin führte mit ihrem Mann, der aus dem Altonaer Zweig der Warburgs stammte, seit 1891 an der Palmaille 33 ein großbürgerliches, den Künsten offen stehendes Haus; die von Gerta Warburg veranstalteten Diners zogen neben Kaufleuten und Wissenschaftlern auch Musiker und bildende Künstler wie Johannes Brahms und Edvard Munch an (der das Porträt ihrer Tochter Ellen malte). Thomas Herbst, zeitweilig Zeichenlehrer Mary Warburgs, verkehrte ebenfalls bei Gerta Warburg und machte sie wohl um 1902 mit Ernst Barlach bekannt. 1903/04 unterstützte sie Barlach durch die Vermittlung eines Stipendiums. Eigenen künstlerischen Ambitionen ging Gerta Warburg in einem Malatelier nach, das sie sich in ihrem Sommerhaus eingerichtet hatte. Das Gebäude befindet sich in der heutigen Baron-Voght-Straße 27, unweit des Ernst Barlach Hauses.
Möglicherweise war Gerta Warburg durch das von Barlach 1901/02 gestaltete Grabmal der Familie Moeller-Jarke auf die Idee gekommen, sich in eigener Sache an den Bildhauer zu wenden. Während der Arbeit am Warburg-Auftrag im August 1920 bekam das Thema für Barlach auch einen unerwartet persönlichen Aspekt: Seine depressive Mutter Louise nahm sich am 5. August während eines Klinikaufenthalts das Leben. Ernst Barlach schuf ihr eine schlichte Holzstele, die in einem ovalen Relief eine von Gottvater gehaltene, ausgestreckt ruhende Gestalt zeigt. Gemäß jüdischen Begräbnistraditionen mit ihrem Gebot größtmöglicher Schlichtheit verzichtete Barlach bei der Grabstätte der Warburgs auf jeden figürlichen Schmuck. Aus der Verbindung eines Würfels mit einem getreppten sarkophagartigen Aufsatz entstand ein ungewohnt abstraktes Werk.
Bereits 1905/06 hatte sich Barlach intensiv mit Grabanlagen befasst. Seine von der Bildsprache des Jugendstil geprägten Entwürfe sind Ausdruck einer Reformbewegung, die um 1900 die ästhetische Erneuerung einer zunehmend konfektionierten Bestattungskultur anstrebte.
Bis zu seiner Russlandreise 1906 (ins Gebiet der heutigen Ukraine) blieb Barlach ein Künstler auf der Suche nach eigenem Profil – und Einkommensquellen. Er arbeitete als Assistent bei Kunst am Bau-Projekten und nahm an Wettbewerben für Denkmäler, Brunnen und Plätze teil, er entwarf Keramikgefäße und Kleinplastiken, er fertigte Bildsatiren für die Zeitschriften Jugend und Simplicissimus. Auch in seinen Grabmalentwürfen kam Barlach noch nicht zu dem ihm Wesentlichen – und doch zeichnet sich in den wuchtigen Solitären schon die blockhaft-reduzierte Formensprache ab, die ihn später unverwechselbar macht.
Das Grabmal Warburg ist heute von ausladenden Rhododendronbüschen gerahmt. So bleibt die Seitenansicht verborgen, die neben dem Namen Albert Warburg auch jenen von Gerta zeigt. Barlachs Mäzenin flüchtete gemeinsam mit ihrer Tochter Betty 1940 vor den Nationalsozialisten nach Holland, wurde verhaftet und 1943 im deutschen Vernichtungslager Sobibór ermordet. Beiden sind Stolpersteine vor dem Haus Hochallee 5 gewidmet. Dort hatten Betty und ihre Mutter seit Ende 1920 gelebt.